Freitag, 13. Juni 2014


EuGH: Vererblichkeit des Urlaubsabgeltungsanspruch bei Tod des Arbeitnehmers im             bestehenden Arbeitsverhältnis

EuGH, Urteil vom 12.Juni 2014, C-118/13 (Bollacke)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 12.06.2014 entschieden, dass eine Regelung nicht mit  Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (ArbZRL) vereinbar ist, die für den Fall des Todes des Arbeitnehmers (AN) im laufenden Arbeitsverhältnis die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub ausschließt.

Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin eines im Jahr 2010 verstorbenen AN. Dieser hatte bis zu seinem Tod einen Anspruch auf mindestens 140 bezahlte Urlaubstage angesammelt. Nach dem Tod des AN verlangte dessen Witwe vom ehemaligen Arbeitgeber (AG) die Abgeltung der noch offenen Urlaubstage (ca. 14.000,- €). Der Urlaubsanspruch ihres Mannes habe sich durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Dieser sei nach § 1922 BGB mit dem Tod des AN auf sie übergegangen.

Das Arbeitsgericht Bocholt hat die Klage abgewiesen und dabei auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verwiesen (vgl. BAG v. 20.09.2011, 9 AZR 416/10, NZA 2012, 326). Nach dieser entsteht der Abgeltungsanspruch zwar grundsätzlich unabhängig von der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, eine Ausnahme hiervon bildet jedoch der Tod des AN. Durch diesen erlösche bereits die höchstpersönliche Leistungspflicht des AN, so dass die Befreiung von der Leistungspflicht durch den Urlaub ins Leere gehe. Da somit kein Urlaubsanspruch mehr bestehe, könne durch die Beendigung des Arbeitsverhältnis auch kein Abgeltungsanspruch entstehen.  

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat Zweifel, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, mit Art. 7 Abs. 1 ArbZRL vereinbar ist und hat deshalb ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH eingeleitet (LAG Hamm v. 14. 2. 2013, 16 Sa 1511/12, NJOZ 2013, 897). Das LAG will wissen, ob eine Regelung europarechtskonform ist, nach welcher der offene Urlaubsanspruch beim Tod des AN im laufenden Arbeitsverhältnis ersatzlos untergeht. Ferner will das LAG wissen, ob der gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Abgeltungsanspruch an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist und ob der AG verpflichtet ist den Urlaub während des Kalenderjahres zu gewähren, auch wenn der AN keinen Urlaubsantrag gestellt hat. 

 Entscheidung des Gerichts:

Der EuGH hat im Sinne der Klägerin entschieden.

Der Gerichtshof prüft dabei die drei Vorlagefragen des LAG zusammen und erinnert daran, dass es sich bei dem Urlaubsanspruch aus Art. 7 ArbZRL um einen bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft handele, von dem nur abgewichen werden dürfe, wenn die Richtlinie dies ausdrücklich vorsieht. Eine restriktive Auslegung der Rechte aus Art. 7 ArbZRL sei daher nicht zulässig.
Ferner bestehe der Anspruch aus Art. 7 ArbZRL aus zwei Aspekten, da der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub neben dem Urlaub auch die finanzielle Vergütung während der Freistellung umfasse. In diesem Zusammenhang verweist der Gerichtshof auf seine frühere Rechtsprechung, in der er festgestellt hat, dass der Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnis in jedem Fall abzugelten sei, damit dem AN nicht der Genuss des Jahresurlaubs in finanzieller Form vorenthalten wird.
Der Tod des AN könne die Umwandlung des bezahlten Jahresurlaubs in den Abgeltungsanspruch ebenfalls nicht verhindern, denn die einzigen Voraussetzungen der Abgeltung des Jahresurlaubs seien das Bestehen von Urlaubsansprüchen und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ferner sei die Pflicht zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen ansonsten abhängig von unwägbaren und unbeherrschbaren Vorkommnissen, was der praktischen Wirksamkeit des Anspruchs entgegenstünde.
Auf einen Antrag des AN komme es dabei nicht an, denn diese Voraussetzung sei in der Richtlinie ebenfalls nicht enthalten und der Gerichtshof stellt ferner fest, dass der Tod des Arbeitnehmers den Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Zahlung enthebt.

Stellungnahme:

Die Entscheidung des Gerichtshofs verwirft die bisherige BAG Rechtsprechung zum Untergang des bestehenden Urlaubsanspruchs beim Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis. Dies ist zu begrüßen, da die Fortsetzung dieser Rechtsprechung nach der Aufgabe der Surrogatstheorie dogmatisch inkonsequent erschien. Einerseits sollte der Abgeltungsanspruch bei jeder Beendigung des Arbeitsverhältnisses – unabhängig von der Erfüllbarkeit – abgegolten werden, andererseits sollte dies gerade nicht gelten, wenn der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis verstirbt, da der Zweck des Urlaubs nicht mehr erfüllbar sei. Die Entscheidung des EuGH zwingt nun dazu, diese Anknüpfung an die Erfüllbarkeit gänzlich aufzugeben.
Problematisch daran ist jedoch, dass der EuGH diese Entscheidung nur unzureichend begründet. Seine Entscheidungen im Urlaubsrecht stützen sich sonst regelmäßig darauf, dass die Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht dazu führen dürfen, dass der Urlaubs(abgeltungs-)anspruch dem Arbeitnehmer vorenthalten werde. Diesen Aspekt vernachlässigt der EuGH in dieser Entscheidung, den das Gemeinschaftsrecht schützt den Anspruch des Arbeitnehmers und nicht die Ansprüche seiner Erben. Es scheint nur schwierig zu rechtfertigen, dass der Abgeltungsanspruch auch dann noch durch das Gemeinschaftsrecht geschützt ist, wenn der betreffende Arbeitnehmer nicht mehr existiert. Vielmehr sollte der weitere Umgang mit dem Urlaubsanspruch nach dem Tod des Arbeitnehmers dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
Weiter ist problematisch, dass der EuGH auf die zweite Vorlagefrage nur indirekt antwortet und keine ausdrückliche Begründung für sein Ergebnis liefert. Die Feststellung das der Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Zahlung der Urlaubsabgeltung befreit ist, wenn der Arbeitnehmer stirbt, lässt aber mehr als nur vermuten, dass der Abgeltungsanspruch nicht an die Person des AN gebunden ist. Dies ist zu begrüßen, da diese Entscheidung im Einklang mit der bisherigen BAG Rechtsprechung steht und daher zu Rechtssicherheit bei der Frage nach der Vererblichkeit eines entstandenen Abgeltungsanspruchs führt.
Die Zielrichtung der dritten Frage des LAG scheint der EuGH zu verkennen. Diese zielt erkennbar nicht darauf ab, ob die Abgeltung des Urlaubsanspruchs eines Antrags des AN bedarf. Vielmehr wollte das LAG wissen, ob der AG von sich aus verpflichtet ist, den Urlaub zu gewähren oder ob der Urlaub erst auf Antrag des AN gewährt werden muss. Dabei geht es vor allem um die Fälligkeit des Urlaubsanspruchs, denn nach der Rechtsprechung des BAG ist der Urlaub nicht in der Form einer Fixschuld an das Kalenderjahr gebunden. Daher erfordert ein Anspruch auf Schadenersatz für untergegangene Urlaubsansprüche neben den sonstigen Voraussetzungen einen vorherigen Urlaubsantrag des AN. Ob dies mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wurde auch durch diese Entscheidung des EuGH nicht ausdrücklich geklärt. Die bisherigen Entscheidungen des Gerichtshofs sprechen jedoch dafür, da durch diese die Vereinbarkeit des ersatzlosen Verfalls des Urlaubs am Ende des Kalenderjahres grundsätzlich festgestellt wurde.

Folgen der Entscheidung:

Zwar bleibt die Umsetzung der Entscheidung ins deutsche Urlaubsrecht abzuwarten, jedoch scheinen hier keine Unvereinbarkeiten zu bestehen. Sowohl die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs beim Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis als auch die Lösung des Abgeltungsanspruchs von der Person des Arbeitnehmers sind nach der Aufgabe der Surrogatstheorie mit dem deutschen Recht vereinbar.
Die Entscheidungen sind daher sowohl in der wissenschaftlichen Ausbildung als auch in der betrieblichen Praxis unmittelbar zu beachten. Dabei ist die Entscheidung eine von vielen, die in den letzten Jahren das deutsche Urlaubsrecht umfassend verändert haben und auch wenn es sich hierbei um ein relativ kleines Rechtsgebiet handelt, sollte es nicht vernachlässigt werden, denn gerade dieser Sachverhalt zeigt, dass Unsicherheiten hier mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden sein können.


 
Patrick Rieger

 

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